Antoni Clapés (Sabadell, 1948) studierte Wirtschaftswissenschaften in Barcelona und ist seither in der Informatikindustrie tätig.
Neben seiner eigenen Produktion als Lyriker ist ihm die Förderung und Vermittlung des dichterischen Schaffens anderer ein wichtiges Anliegen. So organisiert er Dichterlesungen, Lyrik-Tagungen und Lyrik-Performances, präsentiert Bücher von Kollegen und schreibt Renzensionen für Zeitschriften und Tageszeitungen. Mit dem 1989 von ihm gegründeten Verlag Cafè Central verfügt er über eine Kommunikationsplattform, die bis heute im Dienste der Lyrik steht.
Antoni Clapés wurde in mehrere Sprachen übersetzt (Spanisch, Französisch, Englisch, Portugiesisch, Arabisch).
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(Aus dem Katalanischen übersetzt von Claudia Kalász)
Gedichte aus: Alta Provença [Hochprovence].
Nicht nach Hause zu tragende Wahrheit
Wegbeschreibung des Bewusstseins – diese Schrift
Die Schwierigkeit des Seins sagen- des Daseins
Den Konflikt des Schreibens schreiben
Jede Versuchung der Mimesis verbannen
Allein – das nackte Wort das die Stille sagt
Gedichte zuschneiden – vermeiden
Sich lossagen – verlernen
Das Wesentliche des Wesens suchen
Auf Klarheit verzichten um durchscheinend zu sein
Verstehen dass die Tiefe in der Oberfläche liegt
Das Gedicht nicht machen denn das Gedicht ist bereits
Nicht das Licht sagen damit das Licht existiert
Die Unbeweglichkeit – um alles zu machen
Eine unabhängige Sprache schaffen – unübersetzbar
Zusammenflüsse suchen – Einflüssen ausweichen
Die Langsamkeit – die Dauer
Das Wort – die Leere
In der großen Stille des Walds – im weißen Licht des Steins
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I
Der hämmernde Anschlag der Stunden
auf der weißen Stille des Papiers
Reine Befragung
ohne mögliche Erwiderung.
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II
Brennender Mittag: weiches
Glockengeläut, Regen
von Akazienflocken.
Nur das unsichtbare Licht
macht die Welt sichtbar.
III
Nichtwahrnehmbares Summen
von Insekten im Sand
des Eichenhains.
Wie sie zurückhalten
diese Seelenmusik?
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IV
Die brennende Stille des Worts
und der schweigende Schatten des Abwesenden:
Feuerzungen, Murmeln
von Luft zu Luft.
Es reißt
der Schleier der Zeit.
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V
Das Schweigen, kein Wort kann es sagen:
es vollendet es vielmehr.
Hör
seine unentzifferbare Stimme.
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VI
Der Fluss zieht langsam
am Laub der Pappeln vorbei:
der Schlamm, den er schleppt,
ist so alt wie der Fluss.
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VII
Die Flechte breitet sich aus und altert
in dem Maß wie sich (durch sie) der Schiefer zersetzt
auf dem sie lebt.
Trostlosigkeit.
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VIII
Das Gedicht bewohnt dich
von jeher.
Du schreibst es
du entleerst es seiner Worte
um das Schweigen in ihm aufzunehmen.
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Gedichte aus: in nuce.
I
Beobachte, meditiere vor dem Tun.
Nicht über die Handlung, sondern über das Wesen der Schrift selbst.
Schweig – befühle die Stille – um zu sagen.
Vom Ast lernst du die Gefasstheit.
Bis du selbst (der) Ast bist.
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II
Alles ist reine Veränderung: nur sie bleibt.
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III
Das Licht, wie fließendes Gold,
transportiert die verödete Luft
des Abendrots, Erinnerungsstaub. Du hörst
die Pausen bei Webern, die reine Stimme
des Abwesenden. Mit dünner Bleistiftspitze
willst du das Jetzt aufhalten,
das dir ewig dünkt, versuchst
Orte zu bewohnen, die von Worten
schon verlassen sind.
Und indem du keinem Weg folgen willst,
betrittst du einen neuen.
IV
wenn der Wind nicht einmal Wind wegträgt,
wenn alles wirklich nichts ist
wenn das Wenige schon Zuviel wird
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Gedichte aus: Llavors abandonaries Greifswald. [Dann würdest du Greifswald verlassen].
I
Geschlossene Nacht:
auf dem Steinweg glänzt
der abwesende Mond.
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II
Der Mystiker und der Dichter sind eins:
jener, der deine Träume träumt,
bevor du sie träumst,
jener, der die Hand besitzt, die sieht und führt,
das Auge, das tastet und weiß,
jener, der das Licht entzündet,
das weder stirbt noch entsteht: das ist,
jener, der eine neue Sprache erschafft,
mit der das Nichts zu sagen ist,
jener, der einen Weg beschreibt,
von dem es keine Spur mehr gibt,
jener, der aus der Stille
einen Ruf macht gegen das Schweigen.
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III
Dann würdest du Greifswald verlassen, zu Fuß:
die Türme von Sankt Nikolai und Sankt Jacobi
verschleiert unter einer blauen Haut, allmählich; geschwächt
die pommersche Sonne; das kranke Licht des Mittags
zerlaufen auf den frischgemähten Wiesen;
der Kleegeruch; der staubige Wind der baltischen Küste.
(Jene innere Landschaft, die nur du
gemalt hast, die Natur -jetzt-
gäbe ich sie dir zurück, im Geist wiedererschaffen.)
Du würdest durch die dichte Heide gehen, weit entfernt von den Dörfern,
du würdest übermäßigen Kontakt mit den Menschen vermeiden. Ausgestreckt
zwischen Immergrünbüscheln, die aus dem weißen Sand sprießen,
würdest du eine Strophe von Scardanelli überdenken.
Die Langsamkeit, die Dauer. Die Wanderschaft.
Du würdest den Frieden des ausgebreiteten Lebens bewohnen.
Du würdest warten, nichts erwartend – oder das Nichts.
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Zwei unveröffentlichte Gedichte
1
Regen von durstigem
Wasser: ent-
hülle den Sinn der Worte (ein)
Fülle mit Durst das Glas des Sinns.
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2
Auf dem alten Speicher
mit den ausgetretenen Stufen
fängt ein Stapel
staubiger Flaschen
das ganze Licht der Stille.
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Gedichte aus: Miro de veure-hi [Ich versuche zu sehen]
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VII
Horch auf die Stille der leichten Brise
dort wo das Gedicht die Worte ließ.
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IX
Der Todesengel
reist immer mit dir
wie Rinde und Stamm – umklammert.
Du bewohnst eine Landschaft
in Winterfarben, die der Nebel
verbirgt.
Ohne vorne und hinten
verschmelzt ihr im Nebel, Weg und du.
Seid Nebel.
So der Engel.
Und alles.
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XI
Hinter den Hügeln
hinter der Ferne
entsteht das Licht
trägt Namen in die Welt
gibt dem Wind Bescheid
jetzt den Roststaub der Erinnerung
auszuschütteln